Das war die Wehrpflicht.

Das war es also mit der Wehrpflicht: Zum Juli 2011 wird nach 54 Jahren die Wehrpflicht in der Bundesrepublik Deutschland ausgesetzt, was einer praktischen Abschaffung gleichkommt. Man wird wohl nie klären können, ob dieser Eingriff in das Leben junger Männer gerechtfertigt war. Ich vermute, daß die zu immer kürzeren Diensten eingezogenen Wehrpflichtigen der Bundeswehr weit weniger zur Abschreckung der Sowjetunion und des Warschauer Paktes beigetragen haben, als die in Westdeutschland stationierten Truppen der USA, Großbritanniens und Frankreichs und die Vollmitgliedschaft in der NATO.

Juristisch fand ich es immer zweifelhaft, ob der Staat junge Männer zur Drangabe eines Jahres ihres Lebens, noch dazu in der Zeit dessen beginnender Blüte, zwingen kann, ohne überhaupt versucht zu haben, den Bedarf an Soldaten durch Freiwillige zu decken. Dies gilt selbst dann, wenn eine Freiwilligenarmee mehr kostet, denn Grundrechte werden nicht aufgrund von staatlichen Einsparungswünschen verwirkt, sondern allenfalls aufgrund von zwingenden Notwendigkeiten. Auch wurden die Begründungen nach dem Ende des Kalten Krieges zunehmend konstruierter, bis zuletzt klar war, daß die Wehrpflicht nur mehr aufrecht erhalten wurde, weil Krankenhäuser und Altenheime auf die durch die Kriegsdienstverweigerung gewonnenen Zivildienstleistenden nicht verzichten wollten. Wenn ein Grundrechtseingriff aber deshalb aufrecht erhalten wird, weil der Staat von denjenigen profitiert, die sich diesem Eingriff unter Bezugnahme auf ihr Gewissen nach Art. 4 III 1 GG verweigern, beginnt die fehlende Notwendigkeit der Wehrpflicht evident zu werden. (Ich will bei alledem nicht verleugnen, daß die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Wehrpflicht durch deren Verankerung in Art. 12 a GG und damit in der Verfassung selbst nicht vereinfacht wird.)

Spätestens jetzt ist aber auch die Zeit gekommen, mit dem Mythos der Wehrpflicht aufzuräumen: Sie war in den letzten Jahrzehnten keine Pflicht mehr, die die gesamte männliche Bevölkerung betraf. Die Wehrgerechtigkeit war nicht mehr gewährleistet, weil durch Ausmusterung und Ausnahmetatbestände mehr als die Hälfte eines jeweiligen Jahrgangs weder Wehr- noch Zivildienst leisten mussten.

Vollkommen unempirisch vorgehend, möchte ich dies an meiner eigenen Geschichte darstellen:

  1. Die Verweigerung aus Gewissensgründen nach Art. 4 III 1 GG wollte ich nie in Anspruch nehmen, weil (a) ich keine wirklichen Gewissensgründe gegen das Töten in bestimmten Situationen habe und dies nicht vortäuschen wollte, und weil (b) der Zivildienst auch nicht unbedingt mehr Spaß gemacht hätte. Mein Hauptanliegen war es, kein Jahr zu verlieren, sondern unmittelbar nach dem Abitur mit dem Studium beginnen zu können.
  2. Um zu versuchen, in der Musterung als körperlich untauglich eingestuft zu werden, war ich zu stolz. Und obwohl nach Auskunft einiger meiner Altersgenossen weit weniger Schauspielkunst als einstmals bei Felix Krull gefordert war um überzeugend zu hypochondrieren, traute ich mir dieses Talent nicht zu.
  3. Als angehender Jura-Student wälzte ich stattdessen das Wehrpflichtgesetz (WPflG) und stieß auf § 13 a I 1 WPflG, der die Zurückstellung vom Wehrdienst vorsah wenn man sich zur Mitwirkung im Katastrophenschutz (z.B. THW oder Rotes Kreuz) verpflichtete und dieser Verpflichtung (damals) sieben Jahre nachging. Der Vorteil bestand darin, daß diese Mitarbeit im Katastrophenschutz – außerhalb von tatsächlichen Katastrophen natürlich – nur am Wochenende stattfand und somit dem sofortigen Studienbeginn nicht im Wege stand. Da Erdbeben und Tornados in Deutschland selten sind, hielt ich dies für eine im Vergleich zur täglichen Anwesenheitspflicht in der Kaserne zeitsparende Variante.
  4. So bewarb ich mich also beim Roten Kreuz und wurde auch tatsächlich in den Katastrophenschutzdienst aufgenommen. Mein Studium konnte ich ohne Verzug beginnen. Jedes zweite Wochenende mußte ich für ein paar Stunden zu einem Kurs oder einer Fortbildung. Die Katastrophen blieben wie gewünscht aus.
  5. So ging dies das erste Jahr; das erste von vorgesehenen sieben. Zwei Semester meines Jura-Studiums hatte ich schon absolviert, während ich als normaler Wehrdienstleistender zu diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt erst mit dem ersehnten Studium beginnen hätte können.
  6. Nach Ende dieses ersten Jahres wartete ich geduldig auf Zusendung des Zeitplans für Kursen und Fortbildungen des zweiten Jahres. Diese Zusendung erfolgte nicht. Sie erfolgte nie. So ging ich das Risiko ein, passiv gegenüber meiner staatlich auferlegten Dienstpflicht zu bleiben, wobei ich nicht versäumte, dies mir gegenüber selbst durch gesteigerte Aktivität im Studium zu rechtfertigen.
  7. Trotz meines Fernbleibens erging weiterhin keine Einladung, weder durch Brief, noch durch einen Anruf, oder gar einen Besuch. Langsam aber sicher geriet diese Art des Ersatzdienstes in Vergessenheit, wie anscheinend auch ich in Vergessenheit beim Roten Kreuz geraten war. So ging das zweite Jahr ins Lande, und ich wurde kein einziges Wochenende aus meinem Studentenleben gerissen.
  8. Mit zunehmender freudiger Überraschung konnte ich die folgenden Jahre feststellen, daß sich dies auch in den Jahren 3, 4, 5, 6 und 7 fortsetzte. So hatte ich also tatsächlich nur an ca. 25 Wochenenden einen Art Erste-Hilfe-Kurs besucht und war damit einem Jahr in der Kaserne entkommen.
  9. Bis ich eines Tages, im siebten Jahr, ich hatte nicht nur schon lange mein Studium sowie mein anschließendes Refendariat (ironischerweise zu einem erheblichen Teil und auf meinen eigenen Antrieb beim Juristenkorps der US-Armee) vollendet, sondern war mittlerweile als Rechtsanwalt selbständig, einen Brief der Wehrbehörde erhielt. Schlagartig wurde mir mein negativer Saldo der dem Staat gegenüber erbrachten Dienstzeit bewußt, und ich sah mich schon im fortgeschrittenen Alter von 27 Jahren in die Kaserne einrücken.
  10. Ich öffnete diesen Brief mit dem fatalistischen Gefühl desjenigen, den die gerechte Strafe einholt, und las: “Mit Vollendung Ihrer siebenjährigen Dienstzeit beim Katastrophenschutzdienst des Deutschen Roten Kreuzes ist Ihre Verpflichtung zum Wehrdienst erloschen. Wir bedanken uns für den von Ihnen geleisteten Dienst.”

Das war also die Wehrpflicht.

About Andreas Moser

I am a lawyer in Germany, with a focus on international family law, migration and citizenship law, as well as constitutional law. My other interests include long walks, train rides, hitchhiking, history, and writing stories.
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11 Responses to Das war die Wehrpflicht.

  1. John Erickson says:

    (Bitte verzeihen keine schlechte Formulierung, ich bin mit einem Computer Übersetzer.)
    Andreas-Während ich glaube nicht, dass eine volle 7 Jahre Dienst ist wünschenswert, ich denke, dass die Vereinigten Staaten sollten einen Zeitraum von Wehrpflicht haben, entweder im Militär oder im Zivildienst, wie deine. Ich habe einen starken Rückgang, was man als “soziale Gewissen” unter unserer Jugend gesehen zu werden. Ich fühle, dass eine solche Frist Service würde nicht nur helfen, unsere Jugend, um zu reifen und Verantwortung übernehmen, aber wenn einem Schwerpunkt waren auf Zivildienst, dann ist dieses Service könnte auch dazu beitragen kümmern uns um die Armen und innerstädtischen Menschen, vor allem ihre Kollegen setzen junge Erwachsene, bevor sie zum Opfer fallen Auseinandersetzung mit Banden.

  2. Sinan Kurt says:

    Nun, dass war die Wehrpflicht aber gegenüber dir. Natürlich ist das nicht richtig, wie man an einiges rangeht. Aber ich denke man sollte trotzdem die Wehrpflicht mit dem nicht verallgemeinern. Oder?
    LG Kurt
    PS: Du machst dich gut in dieser Haltung im Foto ;)

  3. Andreas says:

    Meinen Glückwunsch, gut gemacht. Ich hatte 1980 noch das “Vergnügen” 15 Monate beim Bund zu sein. Gefühlt waren das 5 Jahre und neben wenigen positiven Erfahrungen überwogen doch mit Abstand die negativen. Etwas sinnloseres und langweiligeres habe ich seit dem nicht mehr kennengelernt. Immerhin wurde mein Sinn für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung enorm geschärft. Ich teile Deine Einschätzung zur Wehrpflicht daher voll und ganz.

  4. ohmannohjens says:

    Hallo Andreas,
    ich möchte mich für Deinen Kommentar bei mir ganz herzlich bedanken und mir auch auf den direkten Weg die Anfrage erlauben, ob ich Deinen Artikel übernehmen darf- selbstverständlich mit dem urheber- link versehen. Ich finde, Dein Blog sollte auch ein wenig von meiner Seite aus, weiter verbreitet werden- er verdient Aufmerksamkeit.

    Sollten wir Männer eigentlich nicht stolz darauf sein, dass wegen uns ständig das Grundgesetz geändert wird, weil wir mit unserem Mannsein für den Staat in ein hervorragendes Verwendungsgut angezeugt wurden sind. Wir sind für ihn und der Wirtschaft ein unverzichtbares und leicht herzustellendes Sklavenprodukt geworden- dieses lebende Kriegsmaterial erfreute sich ja schon immer größter Beliebtheit und wir wurden- werden nach einem uralten Erfolgsezept der Schlachthofbetriebe- zwecks zeitordentierten Bedarfsbedinungen immer mit leichten Veränderungen versehen- zubereitet: ein bißchen Blut- reichlich zerhacktes Fleisch, ausgiebig mit dem handelsüblichen Fall- Geschmacksverstärker “fRuFddVszd ***” gewürzt, gut im Wehrmachts- Kutter weiterverarbeitet, da dieses Produkt eine sehr beschränkte Haltbarkeitsdauer besitzt, sollte es nach der Beendigung seines Herstellungsverfahrens sofort auf der internationen Schlachtplatte zum Verzehr angerichtet werden. Frauen sind als Frontfleischlieferanten völlig ungeeigent und für eine bekömmliche Zubereitung des kriegerischen Grundnahrungsmittel abolut nicht verwendbar. Dieses Wissen hat die Gleichstellungspolitik- Mann sei dank- dafür benutzt, um uns in der Auf-OPFER-ungs)Beliebheitsskala ihnen gleichwertig anzunähern……… und unser eingegentes Tätertum für staatlich- wirtschaftliche Interessen aus- benutzen zulassen. Es ist ihnen nicht gegönnt, gleichberechtigt als ruhmreiche Heldinnen für ein ganzes Volk mit uns stürzen zu dürfen- noch nicht einmal als feminierte Front- und Flintenweiber. Die von ihnen gerne eingeforderte männliche Höflichkeit “Lady- First” verliert hier seine Gültigkeit. Ist es nicht eine Auszeichnung für uns, von unseren hochheitlichen Frau- und Herrschaften als ihr Sklaveneigentum ge- verbraucht zu werden? Damit sind wir doch über den Wert der Frauen gestellt wurden….

    *** für Recht und Freiheit des deutschen Volkes stürzen zu dürfen

    Und wir sollen schon wieder dafür belohnt werden, dass wir als umwerfenswerte Kerle auf die Welt “gefallen” sind. Das Grundgesetz soll wegen uns nochmals geändert werden: die militärische Anstalts GmbH soll in Zukunft polizeiliche Befugnisse erhalten, um uns gegen Terroristen verwenden zu können.

    Wünsche Dir und all Deinen Besucher ein, nach eueren Bedürfnissen und Wünschen ausgerichtetes und erfüllendes Weihnachtsfest.

    Beste Grüße
    Jens

  5. Sinan Kurt says:

    Ist das jetzt Ironie oder doch ernst?

  6. ohmannohjens says:

    Hallo Sinan Kurt,

    wenn Deine Frage an mich gerichtet sein soll, dann kann ich Dir bestätigen, es ist bittersüße Ironie, die ich in meinen Kommentar habe einfließen lassen. Kann man/n auf die staatliche Versklavung stolz sein, auf die demokratische Wertschätzung, uns als absolute Notwendigkeit für die Kriegsfirma und der ihr sehr verbundenen Rüstungsindustrie, gefügig abzurichten und verwendbar zu machen? Fällt man/n nicht gerne als Held der Nation in den Sarg und läßt sich von seinen Besitzer und Eigentüminnen tränenreich betrauern und mit frau- herrlichen Reden zu Grabe tragen “Er hat seinem Vaterland bis zum Umfallen treugedient…er wird von uns nie vergessen werden….”….”pssst, wie war noch sein Name?”

    Was ein Glück für uns, dass die Rechte für unserer Versklavung im Grundgesetz erhalten bleibt und bei Bedarf sofort auf das Handelsgut Mann in ausreichenden Mengen zurückgegriffen werden kann….

    Ich habe vor langer Zeit, u.a. bei dem Minist(er)inum für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nachgefragt, ob es nicht fair gegenüber uns wäre, wenn Frau eine staatliche Zwangsgebär-Verpflichtung auserlegt bekommen würde. Sie bringt ja nur noch 1,2 bis 1,4 Kinder auf die Welt und verurteilt damit das/die deutsche Volk(s)- Wirtschaft zum Aussterben. Und somit wird der männliche Nachschub für die Bundeszwangswehr irgentwann auch zum Erliegen kommen…..

    …und wenn Jens nicht gestorben ist, dann wartet er noch heute auf eine Antwort….

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  8. Joachim says:

    So anerkennenswert die ersten Überlegungen und Handlungen waren, so erbärmlich war die Erfüllung der ausgewählten Pflicht. Ich hoffe, dass Sie daraus gelernt haben und als Anwalt ein besseres Bild an Andere abgeben, als Sie es in Ihrem Ersatzdienst abgegeben haben. Mein Ehrgefühl und die selbst empfundene Pflicht zum Dienst an der Allgemeinheit hätten es mir selbst unmöglich gemacht so zu handeln und am Ende sogar darüber zu schreiben.

  9. Pingback: How people found my blog | The Happy Hermit – Andreas Moser's Blog

  10. GrollBot says:

    tl;dr

  11. Pingback: Bundestagswahl 2013: Ich wähle mit. | Unser Mann im Baltikum

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